Die Schließung der Haasenburg-Heime war richtig – daran ändert auch ein Gerichtsurteil nichts!
Am 23. November 2023 entschied das Verwaltungsgericht Cottbus über die Klage der Haasenburg GmbH. Der Betreiber der geschlossenen Heime in Jessern, Neuendorf am See und Müncheberg, der seit 2005 wegen gravierender Missstände in der öffentlichen Kritik steht, hatte gegen den Entzug der Betriebserlaubnis im Jahr 2013 geklagt – und gewonnen.
Die Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau und das Thüringer Aktionsbündnis gegen Geschlossene Unterbringung sind entsetzt über die gerichtliche Entscheidung, die die traumatischen Erfahrungen der Betroffenen einfach ausblendet. „Das Urteil ist ein schwerer Schlag für die Betroffenen und ebnet nun sogar den Weg für mögliche Schadensersatzzahlungen an die Haasenburg GmbH. Auch für ehemalige DDR-Heimkinder, deren Leben bis heute von den Folgen repressiver Heimerziehung begleitet wird, ist dies ein fatales Signal“, kritisiert Gabriele Beyler (Vorstand Initiativgruppe GJWH Torgau) mit Nachdruck.
Die Entscheidung des Gerichts stützt sich lediglich auf das zweite Quartal 2013, wobei die Jahre 2005 bis 2010 für nicht verwertbar erklärt wurden. Die Begründung, in diesem Zeitraum könne nicht festgestellt werden, „dass das Wohl der Kinder und Jugendlichen in den Einrichtungen der Haasenburg GmbH gefährdet gewesen“[1] war, mutet vor dem Hintergrund der zahlreichen Berichte von Betroffenen über Missbrauch, Gewalt und Zwang in den geschlossenen Einrichtungen geradezu zynisch an und wiegt umso schwerer, als deren Entschädigungsanträge gegenstandslos werden könnten.[2] Diese Vorgehensweise ist nicht nachvollziehbar: Dass 2013 keine Gefährdung festgestellt wurde, ist gerade vor dem Hintergrund der bekannten Missstände der Vorjahre zu sehen, da die erhöhte Aufmerksamkeit zu einem weniger eskalierenden Verhalten des Personals geführt hat.[3] Die Nachhaltigkeit solcher Verhaltensänderungen ist in der Regel gering und es ist davon auszugehen, dass es bei geringerer Aufmerksamkeit zu einer Rückkehr zum alten Verhalten des Personals gekommen wäre und sich Ereignisse wie die folgenden wiederholt hätten:
Eine Jugendliche berichtet[4], dass sie sich in Anwesenheit mehrerer Betreuerinnen vollständig ausziehen musste. Erst nach telefonischer Rücksprache mit ihrer Mutter durfte sie die nicht untersuchten Körperteile mit einem Kissen bedecken. Ein anderer Jugendlicher durfte anfangs nicht alleine zur Toilette gehen und wurde sogar festgehalten und auf den Boden gelegt, als er alleine über die Türschwelle ging. Berichtet wird auch von stunden- oder tagelangem Stubenarrest, Briefzensur, Strammstehen, Aufsagen von Appellen (mit Punktabzug für unkorrekte Wiedergabe), Einsperren im Zimmer und Auszeiträume. Die Jugendlichen beschreiben, dass die Zimmertür tagsüber offenstand, aber vor dem Zimmer jemand aufpasste. Sie mussten am Tisch sitzen und durften nicht auf dem Bett oder dem Boden liegen. Als besonders problematisch wird ein Erzieher beschrieben, der die Mädchen tyrannisierte, ihre Figur kommentierte und sie wie Soldaten behandelte. Bei einem Vorfall wurde ein Schlüssel über den Flur geworfen, weil ein Junge nicht an die Wand schaute, wie es bei Neuaufnahmen vorgeschrieben war. Eine Jugendliche wurde während ihres gesamten Aufenthalts etwa vier- bis fünfmal „begrenzt“. Einmal wurde sie von einem Erzieher auf einen Stuhl geschubst, weil sie sich bei einer Entspannungsübung nicht sofort auf den dafür vorgesehenen Stuhl setzen wollte. Nach einem Streit wurde sie „begrenzt“, zu Boden geworfen und festgehalten. In einem Auszeitraum wurde eine Jugendliche zwei Tage und eine Nacht auf einer Liege fixiert. Auslöser war anhaltendes Reden und Herumalbern trotz Aufforderung, damit aufzuhören, was zu einer lauten Auseinandersetzung führte.
Diese Schilderungen sind nur ein kleiner Teil der bekannten Missstände in den Einrichtungen und nachzulesen im Bericht der unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Einrichtungen der Haasenburg GmbH[5], die 2013 im Auftrag des Landes Brandenburg die Zustände untersucht und bewertet hat. Hundert Seiten fachlicher Einschätzungen und Bewertungen folgen die Empfehlungen der Kommission. Wer sich an dieser Stelle auf die Formalie beruft, dass eine Schließung nicht explizit formuliert wurde, sei darauf hingewiesen, dass die empfohlenen Schritte mit dem Hinweis eingeleitet wurden, sie führten zu einem „menschlicheren Gesicht“[6] der Haasenburgheime GmbH. Und auch an anderer Stelle wird ein klares Urteil gefällt: „Was wir erfahren haben, war z.T. menschlich erschütternd […].“[7] Oder: „Der Blick, mit dem die Kinder und Jugendlichen betrachtet wurden, war primär bzw. ausschließlich ausgerichtet am Maß der Erfüllung der Verhaltensziele. Von daher war die Haasenburg GmbH auf Umerziehung gerichtet […].“[8] Neben den einschlägigen Erfahrungen der Betroffenen, dem 2013 veröffentlichten Bericht – auf dessen Grundlage die Schließung der Heime erfolgte – bestätigte jüngst ein Interview[9] mit ehemaligen Erziehern, dass die Schließung der Haasenburg-Heime längst überfällig war.
Mit ihrem Urteil ignoriert das Gericht die gravierenden Missstände in den Einrichtungen und zeigt eine erschreckende Verantwortungslosigkeit gegenüber den Betroffenen. Aber auch die Hartnäckigkeit des Betreibers, der keinerlei Reue zeigt, erschüttert uns. Die Haasenburg GmbH zeigt damit einmal mehr, dass es ihr nicht um das Wohl der Kinder und Jugendlichen geht, die heute als Erwachsene unter den Folgen der brutalen Maßnahmen zu leiden haben, sondern um die Durchsetzung autoritärer Erziehungsmethoden und freiheitsentziehender Maßnahmen.
Wir stehen solidarisch an der Seite der Betroffenen und fordern eine umfassende Aufarbeitung der Missstände in den Heimen, die Anerkennung des erlittenen Unrechts sowie die zügige Bearbeitung und positive Bescheidung der Entschädigungsanträge der Betroffenen. Wir fordern die Abschaffung von geschlossener Unterbringung und freiheitsentziehender Maßnahmen in der Kinder- und Jugendhilfe.
Unser Engagement gilt einer inklusiven und subjektorientierten Kinder- und Jugendhilfe, die freiheitsentziehende und andere Zwangsmaßnahmen strikt ablehnt und den Schutz von Kindern und Jugendlichen in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellt. Die Haasenburg-Heime haben diesen Kern der Kinder- und Jugendhilfe in ihren Einrichtungen ad absurdum geführt, weshalb die Schließung der Einrichtung richtig war. Daran ändert auch das Gerichtsurteil nichts!
[1] Silke Nauschütz/dpa: Haasenburg-Heime: Betreiber klagt erfolgreich gegen Schließung, in: Berliner Zeitung, 23.11.23, https://www.berliner-zeitung.de/news/haasenburg-heime-betreiber-klagt-erfolgreich-gegen-schliessung-li.2161838.
[2] Kaija Kutter: Die Haasenburg wehrt sich, in: taz, 22.11.23, https://taz.de/Prozess-um-Kinderheim-Schliessung/!5973316/.
[3] Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hg.): Bericht und Empfehlungen der unabhängigen Kommission zur Untersuchung der Einrichtungen der Haasenburg GmbH, beauftragt am 03.07.2013 von Dr. Martina Münch, Ministerin für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, vorgelegt am 30.10.2013 in Potsdam, S. 115, https://geschlossene-unterbringung.de/wp-content/uploads/2013/10/2013-11-06_Endbericht-der-Kommission-zur-Haasenburg.pdf
[4] Die Haasenburg GmbH im Spiegel der Jugendlichen, in: ebd., S. 80–87.
[5] Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg (Hg.): Bericht, https://geschlossene-unterbringung.de/wp-content/uploads/2013/10/2013-11-06_Endbericht-der-Kommission-zur-Haasenburg.pdf
[6] Ebd., S. 121.
[7] Ebd., S. 7.
[8] Ebd., S. 79.
[9] Kaija Kutter: „Die Jugendlichen müssen böse sein“, in taz, 20.11.23, https://taz.de/Erzieher-ueber-Haasenburg-Heime/!5970938/.