Zeitzeuge: Alexander Müller
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1969 wird Alexander im Erzgebirge (Sachsen) geboren. Seine Mutter ist alleinerziehend und freischaffende Künstlerin und Kunsthandwerkerin. 1975 erfolgt seine Einschulung. In der Zeit nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns* wird seine Mutter, wie viele andere Künstler und Freischaffende, unter Druck gesetzt. Sie wird genötigt, ihre Selbstständigkeit aufzugeben und stattdessen als Näherin in einem Schichtbetrieb zu arbeiten. Dort soll sie sich in einem so genannten Arbeiter-Kunst-Zirkel engagieren. Schichtarbeit, Kunst und Familie überfordern oft die Mutter. Die Jugendhilfe wird auf den Jungen aufmerksam.
Im Alter von 11 Jahren wird er im April 1980 auf dem Weg zur Schule von zwei Mitarbeitern der Jugendhilfe mitgenommen und in das Spezialkinderheim Mildenau überstellt. Alexander weiß nicht, was ihn erwartet. Bis zum Abschluss der 6. Klasse verbleibt er im Spezialkinderheim Mildenau. In den Sommerferien 1981 wird er in das (Normal-)Kinderheim „Sonnenland” in Rodewisch verlegt, wo er die örtliche Schule besucht. In dieser Zeit entwickelt er eine zunehmend kritische Haltung gegenüber dem System, die er auch öffentlich vertritt. Dies führt dazu, dass er im August 1983 ins Durchgangsheim Karl-Marx-Stadt (heute Chemnitz) gebracht wird.
Ohne sein Wissen wird er ausgeschult und einige Monate später in den Jugendwerkhof Burg eingewiesen. Als Neuankömmling ist er den Drangsalierungen durch ältere Jugendliche ausgesetzt. Er sieht schließlich die Flucht als den einzigen Ausweg. Dem ersten Fluchtversuch aus dem Jugendwerkhof Burg folgen weitere. Im Januar 1984 beantragt der Heimleiter deshalb seine Einweisung in den Geschlossenen Jugendwerkhof (GJWH) Torgau.
Am 26. Januar 1984 erfolgt seine Überstellung in den GJWH Torgau. Hier erlebt er ein ihm bislang unbekanntes Ausmaß an Gewalt: Tritte und Schläge durch Erzieher, Sport bis zur völligen körperlichen Erschöpfung, Essenszwang, Essensentzug, permanenten Durst, verbale Erniedrigungen.
Im Juni 1984 wird er in den Jugendwerkhof Burg zurückverlegt. Kurze Zeit nach seiner Rückkehr wird ihm auf Grund seiner Vorgeschichte der Sieg bei einem Gedenklauf aberkannt. Diese erneute tiefe Enttäuschung stärkt seine ohnehin oppositionelle Haltung gegenüber dem System. Im Mai 1985 erfolgt seine Zweiteinweisung in den GJWH Torgau.
Im November 1985 wird er in den Jugendwerkhof Burg und von dort aus in das Jugendwohnheim Plauen entlassen.
Am 7. Februar 1987, seinem achtzehnten Geburtstag, wird er aus dem Verantwortungsbereich der Jugendhilfe entlassen. Er erhält einen sogenannten PM 12, einen vorläufigen Personalausweis (Behelfsausweis) in der DDR. Träger eines PM 12 unterliegen bspw. Auflagen wie Reisebeschränkungen.
Alexander engagiert sich 1989 in der Bürgerbewegung.
Seit 2010 engagiert er sich als Zeitzeuge in der historisch-politischen Bildungsarbeit der Gedenkstätte GJWH Torgau.
*Wolf Biermann (Liedermacher und Dichter):
Wegen des kritischen Inhalts seiner Lieder und Gedichte erhielt Biermann in der DDR unter anderem Auftrittsverbote. 1976 gestattete ihm die DDR-Führung eine Konzertreise in die Bundesrepublik. Allerdings wurde ihm dann die Rückreise in die DDR verweigert. Er wurde ausgebürgert. Die Ausbürgerung Biermanns löste in Ost- und Westdeutschland breite Proteste aus.
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