Ziel Umerziehung: Der Geschlossene Jugendwerkhof Torgau und das System der Spezialheime der DDR-Jugendhilfe – Geschichte, Typologie, Dimensionen, Auswirkungen und Folgen 1964 bis 1989
gefördert von der Gerda-Henkel-Stiftung und der Sparkasse Leipzig
Zeitraum: Januar 2011 bis Mai 2012
Darstellung des Projektes:
Die Gedenkstätte ist momentan mit einer kritischen wissenschaftlichen Auswertung ihres Sammlungsbestandes von 282 „Sonderakten“ befasst. Diese wurden im Rahmen der Rehabilitierungsverfahren im Gedenkstätten-Archiv in den 476 Personendossiers zusammen getragen.
Die „Sonderakten“ schreiben eine „Geschichte von oben“. Die komplexe Wirklichkeit wird in den Akten reduziert, um rechtlich fixierte und normierte Entscheidungs-begründungen zu ermöglichen. Typisierungen und Kategorien spielen sich ein, die der Persönlichkeit, Individualität und Lebenswirklichkeit der Betroffenen nicht gerecht werden. So geben die „Sonderakten“ zwar in geraffter Form die Heimgeschichte der Betroffenen wieder, dokumentieren jedoch lediglich Ausschnitte ihrer komplexen Lebenswirklichkeit. Alltag und Gefühlswelten spiegeln sich nur ansatzweise wider. Über die Vorgeschichte der Heimerziehung und den weiteren Lebensweg nach der Entlassung erfahren wir aus den „Sonderakten“ nur wenig.
Um die Perspektive zu erweitern und den „administrativen Blickwinkel“ zu durchbrechen, möchten wir parallel Zeitzeugen-Interviews durchführen. Dabei interessieren uns insbesondere folgende Aspekte: Alltag Heimerziehung in verschiedenen Einrichtungen, Gefühlswelten Heimerziehung, Folgen der Heimerziehung.
“Siehe da, es ist soweit, für unsere Sicherheit!” – Lebenswege von Jugendlichen im Spiegel der Sonderakten des GJWH Torgau
13.11.1989 | Karsten T.[1] wird als einer der letzten Jugendlichen aus dem Geschlossenen Jugendwerkhof (GJWH) Torgau entlassen. Telefonisch und ohne Angabe von Gründen veranlasste das Ministerium für Volksbildung in der ersten Novemberhälfte die überstürzte Auflösung der Einrichtung.[2] Die Geschehnisse im Herbst `89 hatten auch den Jugendwerkhof Torgau erreicht. Der letzte Jugendliche verließ am 17. November den GJWH.
Über 4.000 Mädchen und Jungen zwischen 14 und 18 Jahren hatten von 1964 bis 1989 die offiziell einzige geschlossene Disziplinareinrichtung der DDR-Jugendhilfe durchlaufen. Eingewiesen worden waren keine verurteilten Straftäter, sondern Jugendliche, die gegen die Regeln und Vorschriften in anderen Spezialheimen verstoßen hatten. Mit seinen hohen Mauern, vergitterten Fenstern und Hunden an Laufleinen steht der GJWH heute symbolisch für die repressive Seite des DDR-Erziehungssystems.„Der Jugendliche Karsten T. opponierte im Speiseraum“, hieß es in der Meldung eines Erziehers im Herbst ‘89. Was bedeutete „opponieren“ im Geschlossenen Jugendwerkhof? Welche Konsequenzen hatte die Auflehnung für Karsten T.?
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[1] Sammlungsbestand Sonderakten Gedenkstätte GJWH Torgau e.V., Kopie aus dem Bundesarchiv Berlin. Name geändert.
[2] Abschlussbericht des unabhängigen Untersuchungsausschusses zu Vorgängen im ehemaligen GJWH Torgau, 1990, Archiv Gedenkstätte GJWH Torgau.
Bearbeiterin/Kontakt: Laura Hottenrott – Wiss. Mitarbeiterin –
Email: laura.hottenrott@gmx.de
Telefon: 030-95594475