Gabriele Beyler,Vorstandsvorsitzende des Trägervereins der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau: “In diesem Jahr haben wir einen ganz besonderen Moment. Unser heutiges Treffen signalisiert den Beginn der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in DDR-Heimen. Dies wäre ohne den Mut der Betroffenen nie möglich gewesen.”
Unter dem Motto “Das Ende des langen Schweigens und der Beginn der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs in DDR-Heimen” fand in diesem Jahr das Treffen ehemaliger DDR-Heimkinder statt. Über 140 ehemalige DDR-Heimkinder, angereist aus dem gesamten Bundesgebiet, kamen zum 14. Treffen nach Torgau. Eröffnet wurde es von Iris Gleicke, Beauftragte der Bundesregierung für die neuen Bundesländer. Zu Gast waren in diesem Jahr außerdem Vertreter der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs Brigitte Tillmann, Prof. Jens Brachmann und die Vorsitzende Prof. Sabine Andresen. Ebenso Matthias Katsch, als Betroffenenvertreter ständiger Gast in der Aufarbeitungskommission, und Dr. Christian Sachse, Experte im Bereich der DDR-Heimerziehung.
Nachdem der Deutsche Bundestag im Juli 2015 mehrheitlich die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission beschlossen hatte, erfolgte im Januar 2016 die Berufung der “Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs” durch den Missbrauchsbeauftragten der Bundesregierung Johannes-Wilhelm Rörig. Die Kommission hat der Aufarbeitung des Missbrauchs in DDR-Heimen eine besonders hohe Priorität eingeräumt und nutzte die Gelegenheit des diesjährigen Treffens ehemaliger DDR-Heimkinder, um sich vorzustellen und mit Betroffenen ins Gespräch zu kommen.
Matthias Katsch, Betroffener von Missbrauch am Canisius-Kolleg, sprach bei der Podiumsdiskussion davon, dass es immer noch “Scheu im Umgang” mit dem Thema sexueller Missbrauch gibt. Die Aufarbeitung wäre ein wichtiges Element, um zukünftig präventiv tätig zu sein. Er erklärte: “Wir reden auch über hier und heute.” Zum Stand der Aufarbeitung von sexueller Gewalt in den DDR-Heimen äußerte Dr. Christian Sachse, man “steckt noch in den Kinderschuhen”.
Auch die Ostbeauftragte Iris Gleicke betonte die Wichtigkeit der Aufarbeitung. Das erfahrene Leid könne nicht wieder gut gemacht werden, “aber wir müssen es anerkennen”, so Gleicke. Es gäbe immer noch “blinde Flecken” in der Aufarbeitung. Einer davon ist der Missbrauch in den Heimen der DDR. Die Ostbeauftragte zeigte sich deshalb froh, dass es endlich diese Aufarbeitungskommission gibt. Aber auch Gleicke betonte, dass die Kommission nur erfolgreich arbeiten könne, wenn sich auch hier Zeitzeugen finden: “[…] wir brauchen ihre Zeitzeugenschaft, damit wir mehr erfahren, damit das Unrecht, was ihnen widerfahren ist, nicht vergessen wird.“
Das Angebot der Kommissionsmitglieder für persönliche Gespräche an diesem Tag wurde von vielen Betroffenen intensiv genutzt. Eine durchweg positive Resonanz und Dankbarkeit war bei den Betroffenen festzustellen. Die Vertrauensbasis der Betroffenen zur Gedenkstätte und die Teilnahme der Kommission am Treffen erleichterte es vielen Betroffenen, zu dieser besonders sensiblen Problematik mit den Kommissionsmitgliedern ins Gespräch zu kommen. Ein erster wichtiger Schritt, um bei den Betroffenen vorhandene Hemmschwellen abzubauen und sie für eine Unterstützung der Aufarbeitung zu gewinnen. Die Kommission machte deutlich: Jede Stimme und jedes Schicksal zählt.
Prof. Dr. Sabine Andresen (Vorsitzende der Aufarbeitungskommission): “Die Aufarbeitung sexueller Gewalt gegen Kinder in der DDR hat für die Kommission große Bedeutung. Wir stehen dazu in einem intensiven Austausch mit Betroffenen und spezialisierten Beratungsstellen. Für unsere Arbeit ist unverzichtbar, die spezifische gesellschaftliche Situation unter den politischen Bedingungen in der DDR gründlich einzubeziehen. Dazu holt sich die Kommission zusätzliche Expertinnen und Experten ins Boot, um ein öffentliches Hearing, aber auch die vertraulichen Anhörungen gut vorzubereiten. Schon jetzt zeigt sich der Kommission ein deutliches Bild: Betroffene aus der DDR-Heimerziehung und ihre Rechte werden kaum beachtet. Darum ist gerade für die Aufarbeitung der Umgang mit Betroffenen auch nach 1989 ein wesentlicher Aspekt.”
Prof. Dr. Jens Brachmann (Mitglied der Aufarbeitungskommission): “Die Aufarbeitung der vielfach unbegreiflichen Zustände und der Verantwortlichkeiten für Verbrechen in den Heimen der DDR-Jugendhilfe braucht noch immer alle staatliche Unterstützung. Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs wird dazu einen nachhaltigen Beitrag leisten und das Gespräch mit den Betroffenen suchen. Die geplanten öffentlichen Anhörungen zum Themenkomplex „Heimerziehung in der DDR“ können zur Anerkennung des Unrechts und zur Versöhnung beitragen, wenn die Überlebenden des repressiven DDR-Heimsystems aktiv in die Vorbereitung und Planung dieser Veranstaltungen einbezogen werden. Die Teilnahme von Kommissionsmitgliedern am Jahrestreffen der ehemaligen Heimkinder der DDR im September 2016 in der Gedenkstätte Geschlossener Jugendwerkhof Torgau soll Auftakt für eine solche enge Zusammenarbeit sein.”